Wenn bis zu 80 Prozent aller Endkund:innen auf Nachhaltigkeit bestehen, kann man nicht mehr daran vorbeiproduzieren. Nachhaltigkeit bedeutet Recycelbarkeit. Aber was genau ist nochmal der Unterscheid zwischen „recycelbar“ und „recycelt“?
Erstellt am25.07.2023Das Tückische an der Ökonomie besteht darin, dass man jeden Trend aufnehmen kann, auch ohne Teil davon zu sein. Ist von einer drohenden Inflation die Rede, kann jeder Gemüsehändler schnell ansteigende Preise argumentieren. Sind Umweltschutz, Co2-Einsparung und die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels das Gebot der Stunde, kann jeder Hersteller mit ein paar Handgriffen Trend-Vokabeln wie „biologisch abbaubar“ oder „recycelfähig“ auf seine Verpackung notieren und so auch seine umweltbewussten Kund:innen ansprechen. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um „Greenwashing“. Viele Unternehmen beeilen sich, ein (biologisch perfektes) Feigenblatt zu besorgen, um nach außen grünen Willen zu kommunizieren, auch wenn es drinnen munter umweltschädlich weiter geht.
Neben schön schwammigen Begriffen floriert selbst das Geschäft mit Gütesiegeln: Mit „100% abbaubaren“ Plastikprodukten werden Verbraucher:innen in ihrer guten Absicht bestätigt und besänftigt. Schon greift man zu: rund 80 Prozent der Endverbraucher:innen geben „recycelbaren“ Produkten den Vorzug! Ein scharfer Blick hinter die Kulissen erzählt meistens eine andere Wahrheit. Zum Beispiel, dass eine als kompostierbar bezeichnete Verpackung doch oft einen dominierenden Plastikgehalt hat und sich auf dem Heimkompost dementsprechend nur im Schneckentempo “biologisch abbaut”.
Aber auch wenn Produkte oder Verpackungen aus recyceltem Material hergestellt sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sie automatisch nochmal recycelt werden können. Darüber entscheidet ganz pragmatisch am Ende der NIR-Scanner in der Sortieranlage, der jeden recycelfähigen Müll aussiebt und wieder in den Wertstoffkreislauf einspeist. Alle „Mogelpackungen“ lässt er fallen, die damit der thermischen Verwertung zugeführt werden. Dieser Türsteher der Nachhaltigkeit ist knallhart. Nicht mal ein Pizzakarton mit Resten geht durch. Im Kreislauf zu bleiben, ist auch für willige Hersteller:innen eine Herausforderung.
Das Unternehmen Werner & Mertz („Frosch“) gilt als Pionier auf diesem Feld - auch, wenn es darum geht, Strategien des „Greenwashings“ zu entlarven. Frosch-Inhaber und Buchautor Reinhard Schneider („Die Ablenkungsfalle“) befürchtet, dass „Umweltschutz zu einem schicken Statussymbol, aber im Kern ausgehöhlt wird“.
Nun kann man sagen: Bräuchte man nicht ohne Verpackungen auch kein Recycling – und hätte damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen? Vollkommen richtig, aber fast alle industriellen Produkte brauchen eine Verpackung. Sie schützt ihren Inhalt vor äußeren Einflüssen wie UV-Licht, Wärme, Sauerstoff, Wasserdampf. Ohne ihre Umhüllung würden Produkte schneller verderben, vertrocknen, verschimmeln, verkümmern oder sich einfach verkrümeln. Im konservierten Zustand sind Alltagsgegenstände vom Proteinpulver bis Kaffee und Cannabis, von Kosmetika bis Textilien überhaupt erst marktfähig. Aber es muss nicht zwingend eine Aluminiumschicht sein, die sie im Inneren zusammenhält. Denn als Verbundstoff, man ahnt es, ist eine Verpackung nicht recyclingfähig.
Recycling ist die Kunst, einen Rohstoff im Wertstoffkreislauf zu halten wie ein Jongleur. Nur dass die richtig eingesetzten Materialien und Verfahren nie mehr herunter-, sprichwörtlich abfallen. Im Grunde keine Schwerst-, sondern Pionierarbeit, für die nur viele Marken zu träge sind. Wer aber die Froschperspektive einnimmt (die optische wie auch die der Marke, wenn man so will), prüft alles auf seine Recycelbarkeit. Also: Was will der Frosch, um zu überleben? Was machen als Hersteller:in? Was ist der Unterschied zwischen „recycelt“ und „recycelbar“? Und wie kann ich „best of both worlds“ vereinen?
Papier kann aber muss kein gutes Beispiel für ein recyceltes und recycelbares Material sein. Für Altpapier muss kein Baum mehr frisch gefällt werden, und es kommt mittlerweile nicht mehr in Sack und Asche, sondern auch hochwertig, „mit weißer Weste“ daher. Altpapier ist recycelt, klar. Aber es wird nur wieder zu Altpapier, wenn im Verarbeitungsprozess keine „Zusatzstoffe“ hinzukommen. Auf Papierverpackungen werden aber oft die Etiketten aufgeklebt. Wegen des eingesetzten Klebstoffs ist es aus mit der Wiederverwertbarkeit. Papierverpackungen, die dazu dienen, ihren Inhalt mehrfach zu verwenden, brauchen meist einen Zipper, die wiederum aus Plastik bestehen. Damit ist eine Verpackung aus Papier möglicherweise nicht mehr „astrein“, Papier vielleicht recycelt, aber nicht recycelbar. Und die Sortieranlagen kennen keine Gnade. Grundsätzlich gilt: Materialmixe sind mindestens schlecht verhandelbar, wenn nicht ausgeschlossen vom Verwertungskreislauf.
Recyclingplastik (kann) das ideale Kreislaufmaterial unserer Zeit sein, wenn man nur konsequent richtig damit umgeht.
Reinhard Schneider
Die Ablenkungsfalle (Oekom-Verlag, München 2023). Copyright: © Dominik Butzmann
Auch andere Verpackungen bestehen bereits aus so genanntem Rezyklaten, also schon einmal benutzten Rohstoffen, wie etwa Kunststoff. Ja, Kunststoff! Entscheidend ist: Ein Mono-Kunststoff besteht aus nur einem Material (zum Beispiel PE oder PP), ist also wirklich frei von jeglicher anderen Substanz. Nur mit dieser Voraussetzung hat die daraus gefertigte Verpackung eine Chance, recyclingfähig zu bleiben. Dieses Material kann auch als Altplastik daherkommen, um recycelt werden zu können. Dann schlägt man auch zwei Fliegen: Einmal wird weniger Neuplastik gebraucht, andererseits potenziell recyclingfähiger Kunststoff verwendet. Damit es auch recyclebar bleibt, muss die Beschaffenheit im gesamten Verarbeitungsprozess vom Rohstoff bis zur Verpackung so bleiben. Genau das ist in vielen Fällen nicht so.
Selbst hier gibt es eine Kunstform des „Greenwashing“. Einige Hersteller brüsten sich mit der Nutzung so genannter „Keks-Reste“: Kunststoffränder, die beim Ausschneiden von Oberflächen liegen bleiben, genau wie beim Teigausstechen. Leider sind schon diese Reste nicht mehr hundertprozentige Rezyklate, wenn man sie einschmelzt.
Davon abgesehen, ist Kunststoff aufgrund seiner hohen Schutzeigenschaften für viele Inhalte – feste wie flüssige – die perfekt recycelbare Verpackungsform. So ist es auch zu verstehen, dass Reinhard Schneider sich „eine breiter angelegte Erkenntnis der Öffentlichkeit“ erhofft; „dass Recyclingplastik das ideale Kreislaufmaterial unserer Zeit sein kann, wenn man nur konsequent richtig damit umgeht.“ Schon das Klebe-Etikett kann ein Ausschlusskriterium sein, bei dem die Sortieranlage nicht lange fackelt.
Wir haben nachgedacht und nochmal alles auf Anfang gesetzt: zurück zu bestehendem Altplastik, als purer Rohstoff mit dem Potenzial zur Recycelbarkeit. Wir sind mit offenem Ausgang bei einer besonders tragfähigen Lösung herausgekommen: einer Versandtasche, die recycelbar ist und gleichzeitig auch aus recycelten Materialien besteht. Aber von vorne. Es gilt, die Produktion von noch mehr Plastik zu vermeiden. Aber aus Altplastik werden wegen ihrer minderen Qualität (Downcycling) bisher eher Verlegenheits-Dinge produziert: Parkbänke und -stühle, Schilder oder Eisenbahnschienen. Aber, um Herr Schneider nochmal zu Wort kommen zu lassen: „Altplastik (kann) durch Weglassen der Einfärbung und nicht recycelbarer Verbundstoffe allein schon wegen des niedrigen Schmelzpunktes mit deutlich weniger Energie in eine neue Verpackung umgeformt werden als Glas, Blech oder Aluminium.“
Bei Packiro denken wir natürlich von der recycelbaren Verpackung her. Altplastik-Lebensmittelverpackungen bekommen aufgrund ihrer Herkunft keinen „Food Grade“, qualifizieren sich also nicht für „lebenden“ Inhalt wie Lebens- und Genussmittel. In vielen Gesprächen und Brainstormings entstand aber die Idee einer, tadamm, wiederverwertbaren Versandtasche. In dem ständigen Hin und Her des modernen Online-Versandhandels fliegt sie von Absender zu Empfänger oder liegt schon zur Retoure oft dabei – der Gedanke, nicht recyclingfähig zu sein, bereitet angesichts der Massen an „Mailer Bags” fast schon physische Schmerzen.
Et voilà, deshalb entwickeln wir aktuell eine innovative recyclingfähige Versandtasche aus Altplastik, mit umweltschonenden Farben direkt digital bedruckbar. Im Klartext: Die Mailer Bag reduziert Plastik, kann mehrfach verwendet werden; das Material feiert über die „Gelben Tonne“ im Wiederverwertungskreislauf seine Auferstehung, wenn auch nicht zwingend als Versandtasche. Doch damit nicht genug …
Vorstellbar ist sogar, dass die Mailer Bag auch noch den „Re-Use“-Aspekt erfüllen kann: Man könnte sie theoretisch in einem Extra-Behälter sammeln, um da weiterzumachen, wo sie aufgehört hat: als Versandtasche, die unsere Kunden ohne Einbußen an die Umwelt direkt weiter nutzen können. Mit etwas Aufwand – wie ein kundenbindendes Bonussystem für Verbraucher:innen, damit sie ihre Mailer Bags an Ort und (Sammel-)stelle zurückbringen - entstünde aus unserer Versandtasche in der Vision eine Hybrid-Formel aus Reduzieren, Wiederverwenden und (viel später mal) Wiederverwerten. Zukunftsmusik. Aber klingt schon jetzt gut.
Darum soll es am Ende gehen: Nicht so tun, sondern tun. Die Endverbraucher:innen habt ihr auf eurer Seite. Sie zeigen laut Umfragen wesentlich mehr Bereitschaft, nachhaltig zu agieren, als es große Teile der Industrie wahrhaben wollen. Um Herrn Schneider das Schlusswort zu überlassen: „Mein Credo ist: Leute, ihr habt eine enorme Macht mit eurem Geldbeutel, nutzt sie. Die Nachfrage ist die stärkste Kraft, der sich die Industrie immer unterwerfen muss. Die Industrie kann nicht an der Nachfrage vorbeiproduzieren.“
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Schneider, Reinhard (2023): Die Ablenkungsfalle: Die versteckten Tricks der Ökologie-Bremser. Wie wir unsere Umwelt nicht länger aufs Spiel setzen. Oekom Verlag.